Morgens aufstehen nach einem tollen Segeltag mit einem Kumpel: Alles noch unaufgeräumt, Segel noch nicht eingepackt, Schoten und Fallen noch nicht geordnet, altbekanntes Chaos zwischen Segel- und Wohnmodus. Ausschlafen, ganz in Ruhe in den Tag starten, gemütlich 2 Kaffee trinken, telefonieren, das Aufräumen schön entspannt nach hinten schieben. Drumherum schwirren schon die ersten Wassersportler mit ihren Kites, Wings, Boards und Foils um dein Boot und genießen den starken Wind. Traumhaftes Karibikwetter, es ist nach kurzem, tropischen Schauer wieder aufgeklart und die Sonne knallt.
Du gehst nach dem Telefonat um 09:32 Uhr nichtsahnend ins Cockpit, um dich genüsslich auszustrecken und laut zu gähnen. Doch siehe da: irgendwas ist anders! Perspektive verschoben, Boot woanders, ihr bewegt euch - nach hinten! Wahhh! OK. Gehirn hochfahren, checken was passiert. Ihr treibt ab. Was zum? Du krachst hektisch nach unten zum Niedergang und stellst den Motorschalter an, dann wieder hechtest du ins Cockpit: Motor läuft. Du denkst „alles cool“, „fahr vorwärts“, „Anker neu einfahren und durch zweiten absichern“. Es macht ratzklackwürg. Motor aus. Ihr treibt immer noch. Hinter euch Untiefen. Kiel bohrt sich langsam ins Riff, Boot stellt sich quer zu Wind und Welle.
Du holst krampfhaft deine Schnorchelbrille, ab ins von Algen pissgelb gefärbte, durch deinen Kiel aufgewühlte Wasser. OK, war klar: Leine im Propeller verwurschtelt, deswegen Motor aus. Während der Kiel immer wieder den Sand und die Korallen aufwirbelt und das Wasser vernebelt, tauchst du immer wieder durch das von Algen, Sand und Gestein aufgewühlte Wasser. Nach 7 Tauchgängen und wildem Hin- und Herziehen auf jeder Seite des Bootes ist es geschafft: der Propeller ist wieder frei. Du checkst, ob noch mehr Leinen lose sind und im Wasser hängen, bevor du pudelnass zurück ins Cockpit springst und den Motor wieder in Gang bringst. Ahhhh, Erleichterung!
Ne. Natürlich nicht. Es geht weiter: nach einem kurzen Erfolgserlebnis (Boot bewegt sich, obwohl Wasser viel zu niedrig ist und Kiel immer wieder aufbockt) seid ihr endgültig festgefahren und quer zur Welle, mit Trieb in hintere, noch flachere Gewässer. Während der Motor weiter läuft, bildest du dir das ein oder andere mal an der Pinne ein, dass das Boot sich bewegen bzw. frei kommen würde. Träum weiter.
Also nächste Lösungsmöglichkeit: Du springst in dein Beiboot, schmeißt deinen lächerlichen 3 PS Zweitakter aus den Achtzigern an und bretterst gegen dein Hauptboot. In der naiven Hoffnung, dass sich irgendwas bewegen lässt. Nicht. Also wieder zurück ins Cockpit, Beiboot festmachen. Du versuchst nun bei noch laufendem Motor durch Gewichtsverlagerung mit deinem Arsch Bewegung in die Sache zu bringen. Das Boot ist ziemlich zur Seite gekrängt, steht ja quer zum Wind. Je mehr Krängung, desto weniger Tiefgang, denkst du dir. Trotzdem bewegt sich nix.
Nur weiter aufgewirbeltes Wasser und ein leicht herzschmerzendes Gefühl in jedem Moment, in dem dein heiß geliebtes Boot in jedem Wellental mit dem Kiel auf den Grund kracht. Aaaaargh. Noch nix gefrühstückt, in Unterhose am Lamentieren und Fluchen, die Sonne knallt auf den Sonnenbrand von gestern. Keine Zeit. Muss alles schnell gehen. Als du entnervt und ratlos wie Rumpelstilzchen an Deck umher springst, kommt ein Mann mit seinen Kids vom Nachbarboot angefahren. Ihr einigt euch kurzfristig auf Frenglisch. OK, d’accord.
Ein Surflehrer kommt auch noch vorbei, sagt, dass er mal mit seinem starken Jetski ziehen könnte, aber das Wasser heute Abend sowieso wieder angestiegen sein sollte. Dann dampft er wieder ab und kommt nicht wieder. Dir gefällt das alles nicht. Nächster Anlauf mit French Daddy und seinem geringfügig stärkeren Beiboot-Motor, welcher nun sein Gummiboot mit Vollgas gegen dein Segelboot presst: nichts. Aber seine Kinder haben Spaß. Er rät zu einem Hissen des Großsegels.
In der Zwischenzeit stellst du fest, dass dein Motor ausgegangen ist. Angehen tut er nicht mehr.
Vermutlich einfach nur der Tank leer, bekommst ihn aber trotzdem nicht mehr an, weil nun höchstwahrscheinlich Luft im Dieselkreislauf ist. Jetzt hängst du sprichwörtlich da, wünscht dir eine kalte Bierdusche von barbusigen karibischen Frauen an Ort und Stelle oder zumindest einen kolossalen Eisberg am Nordpol, von dessen Spitze aus du kräftig und völlig losgelöst “Scheißeeeeeeeeeeeeeeeee” in die unendlich einsame Weite schreien kannst. Egal.
Weiter geht’s. French Daddy steht mittlerweile in deinem Cockpit an der Pinne, während du hastig das Groß hochzuziehen versuchst. Mit Wind im Segel ist das alles andere als einfach, du bindest das zweite Reff ein und verkleinerst das Segel, French Daddy fiert die Großschot und es gelingt: das Segel ist mehr schlecht als recht, aber wenigstens halbwegs hochgezogen. Das Boot krängt sich mehr, ab und zu fühlt es sich nach Bewegung an, doch das ist mehr Wunschdenken als Realität. Relativ ratlos schaust du dumm aus der Wäsche, fluchst in dich hinein.
Bei einem zwischenzeitlichen Gang ins Boot stellst du fest, dass die Luke nicht mehr richtig auf geht, hat sich irgendwie verhakt. What the fuck? Teile im Salon sind beim Krängen und Kielbumsen auf den Grund umhergeflogen. Völlig entnervt informierst du - wieder an Deck - French Daddy darüber, dass du die Fock hissen möchtest und darauf hoffst, euch so freisegeln zu können. Er hält das für keine gute Idee, argumentiert, dass die Krängung weiter zunähme und das Boot schneller seitlich abdrifte als es an Fahrt vorwärts machen würde. Macht Sinn. Er verabschiedet sich und verspricht, bei den anderen Nachbarn auf dem Ankerfeld um Rat bzw. Hilfe zu bitten.
Du entschließt dich derweil, seine Bedenken hinsichtlich der Fock zu übergehen und es zu riskieren. Was bleibt denn auch noch nach allen Versuchen? Zwischenzeitlich sind Hinz und Kunz an deinem Boot vorbeigefahren und haben sich das lustige Trauerspiel aus der Nähe angesehen. Zumindest wissen nun alle Bescheid, was du für ein Idiot bist, denkst du dir. Nachdem du die Windsteueranlage auf Halbwind eingestellt und die Pinne in die Kettenführung eingerastet hast, begibst du dich konsterniert - aber immer noch kampfbereit - an den Mast und ziehst die Fock hoch. Immerhin hat es seine Vorteile, wenn man nicht sofort nach dem Segeln wieder Klarschiff macht und das Boot noch segelklar ist.
Zu guterletzt kommt noch ein mittelgroßes Motorboot, volgepackt mit 7 kleinen, feixenden Segelschülern und deinem dich beim Namen kennenden Lehrer aus der Surfschule vorbei und rufen dir hoffnungsvoll zu. “You can do it, it’s moving!”. Du bringst dich in Stellung auf die windabgewandte Seite. Im äußersten Cockpit lehnst dich weit nach außen, um die Krängung zu verstärken und den Kiel weiter zu neigen. Der Wind bläst ordentlich, die Segel machen Druck. Noch ein paar mal rammt der Kiel in das sandig-steinige Korallenriff, bevor es tatsächlich gelingt! Das Boot bewegt sich! Am Anfang noch holprig, dann immer freier und ungehemmter.
Wird ‘ne knappe Kiste, denn auf Backbord und Steuerbord voraus brechen die Wellen und der Ausgang aus der wellengeschützten Bucht wird nicht umsonst “Petite Passe” genannt. Während das Boot des Surflehrers mit den Kindern jauchzend und feiernd “Allez, Amos!” hinterherruft, musst du zusehen, dass du nicht zu sehr an den Rand des schmalen Ausgangs abdriftest. Dorthin, wo die Wellen herunterkrachen und dein Boot auf’s Riff schleudern würde. Es ist eine schmale Gratwanderung zwischen maximal hoch am Wind und nicht zu viel Geschwindigkeit verlieren bzw. auf gar keinen Fall eine unbeabsichtliche Wende fahren!
Doch es klappt. Hauchdünn hast du euch befreit und lässt die brechenden Surferwellen und den geschützten Eingang in die Lagune hinter dir. Du überlegst kurz, ob du einfach weitersegeln solltest, zu einem anderen Ankerplatz. Du weißt mittlerweile selbst, dass du jetzt schon genug hattest und entkräftet bist. Also entschließt du dich kurzerhand eine Wende zu fahren und es noch mal mit der Bucht aufzunehmen.
Kann ja nicht angehen, zuvor hielt der Anker schließlich über eine Woche mit ähnlichen Wetterverhältnissen an fast der gleichen Stelle.
Du übernimmst im Hochmut die Kontrolle vom Windpiloten, greifst die Pinne im richtigen Moment und die Wende gelingt dir auf Anhieb, steuerst nun wieder den “Petite Passe” an. Diesen durchquerst du nun mit ordentlich 4 bis 5 Knoten auf Halbwindkurs. Nur immer schön in der Mitte bleiben! Währenddessen prüfst du noch hastig die Seekarte und suchst nach den eingezeichneten Untiefen. Kurzerhand und zielstrebig steuerst du ein grünes Nachbarboot an, das weiter abseits des Ankerfeldes ankert, losgelöst von den anderen Booten und mit genug Spielraum zu allen Seiten. Nachdem du einen Bogen um das grüne Boot gesegelt bist, schießt du mit einem entschlossenen Ruderdruck das Boot neben deinem neuen Nachbarn in den Wind, spurtest kompromisslos nach vorne und reißt erst die Fock, dann das Großsegel hinunter. Dann hechtest du zur Bugrolle und wirfst die ersten Meter Anker aus.
Der erste Wurf reicht nicht mal auf Grund, sodass du jetzt wieder schnell zurück musst, um die kabelgebundene Fernbedienung der elektrischen Ankerwinde zu holen. Du stellst dich so, dass du die Winde im Blick hast, gleichzeitig lässt du immer mehr Kette ab. Nun ist es gut, du stehst parallel zum Nachbarn mit viel Kette draußen. Nachdem du noch die Stoßdämpferleinen an der Kette und an deinen Bugklampen angeschlagen hast, geht’s zu einer kurzen Verschnaufpause. Immer noch fast nackt in Unterhose und sonnenverbrannter Haut ziehst du dir ein leichtes Langarmhemd an und setzt einen Hut auf. Sind noch 2 Schlücke in dem gestern beim Segeln ausgelaufenen besten Rum aus Barbados: ab in die Tasse! Prost!
Du bist nun hin- und hergerissen zwischen “einfach jetzt ins Vorschiff knallen und Augen zu…” und “das darf nicht wieder passieren, ich muss noch den zweiten Anker klar machen!”. Dein Gehirn auf Sparflamme teilt dir mit, dass es doch eher zu letzterem rät. Na gut. Einmal noch.
Also wieder raus, Ankerkette und Leine des Zweiankers verbinden, Ankerboje befestigen, an der Rehling zum Tragen positionieren. Ab ins Beiboot, von außen an die Rehling fahren, den zwölf kilo schweren Anker ins Beiboot heben, losfahren. Du entscheidest dich, einen Heckanker auszufahren, der aber dennoch den Zug von vorne abdämpft und den Hauptanker somit entlastet. Sieht gut aus. Der Anker hält sofort und entwickelt Zug, außerdem steht das Boot nun harmonischer zwischen Wind und Welle. Wieder angekommen, kann der Tag ja jetzt starten! Verwundert und noch nicht wirklich fassend stellst du fest: es ist schon 14 Uhr! Du fängst an zu schreiben…