Ich sitze gerade in Emvulas Kajüte. Oder sollte ich sagen Tropfsteinhöhle? Die Couch unter mir ist feucht bis nass. Der heute besorgte Luftentfeuchter zeigte zu Beginn 88 % Luftfeuchtigkeit an und läuft auf Hochtouren, arbeitet sich langsam auf unter 80 % vor. An den Holzwänden der Inneneinrichtung grüner Schimmel. Dort wo die Püttinge der Wanten und die Genuaschienen sind. Es riecht muffig.

Die oberen Schapps, in denen ich meine Vorräte an Nahrung gebunkert habe, sind feucht. Ebenso die Bücher, die ich dort verstaut habe. Die meisten habe ich in weiser Voraussicht in Gefrierbeutel gepackt, aber leider nicht alle. An den Innenwänden des Rumpfes Nässe, die bis in die unteren Stauräume durchgedrungen ist und größtenteils das Werkzeug und die Ersatzteile, die ich dort gelagert habe, benetzen. Auch hier habe ich aus vorherigen Törns gelernt und alles in Plastik gepackt. Dennoch findet das Gemisch aus Süß- und Salzwasser unaufhaltsam seinen Weg in die Behälter und lässt Schraubenschlüssel, Hammer etc. rosten.

An der Decke beim Niedergang sind Tropfen zu sehen. Vor allem im Bereich der Schiebeluke. Auch hier scheint es undicht zu sein, sodass der Regen an der Holzverkleidung unter oder neben dem Verschluss seinen Weg ins Innere von Emvula findet und dort langsam aber stetig die Tapete aufweicht. Letztere hängt über dem Herd bereits nur noch zur Hälfte an der Decke, der Rest hängt schlaff herunter oder schwingt vertikal ausgerichtet leicht und harmonisch zu den Bewegungen des Bootes. Ich sehe ein umgedrehtes und geteiltes Grönland. Jenes Land, welches der US-Präsident vor kurzem den Dänen abkaufen wollte. Dies habe ich nach einem längeren, einsamen Törn über den Ärmelkanal gelesen. Bei solchen Neuigkeiten wäre ich gerne länger fort gewesen, dachte ich mir als ich davon erfuhr.

Gestern habe ich festgestellt, dass das 8 mm dicke Drahtseil, welches für die Krafteinleitung des achteren Unterwants auf der Backbordseite in den Rumpf verantwortlich ist, komplett durchgerissen ist. Die meiner Meinung nach unzureichende Krafteinleitung des noch wichtigeren Oberwants auf selbiger Seite ist während des letzten Törns aus der Verankerung gerissen. Hier sollte die Kraft durch die Holz-Innenwand der Kajüte aufgefangen werden. Aufgrund der undichten Püttinge und dem damit einhergehendem Salzwassereinflusses ist das Holz hinter den Metallplatten aufgeweicht. Ebenso ein langer Riss im Holz links daneben, der von der immensen Krafteinwirkung bzw. unzureichenden -verteilung zeugt. Das Bild draußen passt dazu: ein Riss am Pütting des Unterwants, durch den nun Wasser in den Sandwichkern des Decks eindringt.

Die vorderen Unterwanten sind innen gar nicht verstärkt bzw. deren Krafteinwirkung umgeleitet und von Haus aus im Inneren lediglich durch lächerlich anmutende Konterscheiben aus Edelmetall gehalten. Das hat sich gerächt. Durch die Wantenspannung wurden langsam aber stetig das Deck und der Aufbau in diesem Bereich angehoben, sodass die Schiebetüren der Schränke im Vorschiff aus ihren Schienen rutschten und die Tür zum Vorschiff nicht mehr zuging. Man sah deutlich, dass auch die Holzwand zum Vorschiff selbst nicht mehr in der dafür vorgesehenen Nut des Aufbaus aus Glasfaser lag - es war (und ist) ein deutlicher Luftspalt dazwischen zu sehen. Ich habe die vorderen Unterwanten schon vor dem letzten Törn nach Leixões daher fast komplett entspannt - sicherlich nicht das Beste für’s Rigg und Segeln. Zumindest hat sich dadurch das Deck aber wieder etwas gelegt.

Habe ich erwähnt, dass mein Motor nicht mehr läuft? Ich habe mir die Dieselpest eingefangen. Ein kläglicher Versuch den Tank freizupumpen ist bereits gescheitert. Der Motor lief danach für etwa 2 Stunden und brachte mich zumindest aus einer Windstillen Bucht, ehe der durch das Geschaukel im Tank bei Seegang aufgewirbelte Schmodder erneut den Motor in die Knie zwang. Ich musste gegenüber der portugiesischen Wasserschutzpolizei in Leixões eine Erklärung unterschreiben, dass ich erst den Hafen verlassen werde, wenn ein Gutachter die Funktion meines Motors bestätigt hat.

Die letzten Wochen und Monate waren alles andere als rosig. Ich habe einiges erlebt. Leider vieles, was man sich als Segler nicht unbedingt wünscht. Segel sind gerissen, Feuer ist ausgebrochen, der Anker hat nicht gehalten und das Boot an die steinige Küste getrieben, Emvula wurde beim Schleppversuch beschädigt…Dies nur ein paar Beispiele. Zu gegebener Zeit sicher mehr dazu.

Daneben sah die Reise bisher eigentlich wie folgt aus: Ständig unter Strom stehen weil man so schnell wie möglich nach Süden kommen möchte bzw. “muss”. Daneben aber eigentlich feststellen, dass das Boot noch gar nicht soweit ist bzw. sich ständig neue Baustellen auftun, mit denen man nicht gerechnet hat und die einen Meilenweit zurückwerfen. Beispielsweise ein undichter Saildrive. Repariert man eine Sache, gehen gefühlt zwei andere Dinge am Boot zu Bruch oder geben völlig überaschend den Geist auf. Smartphones, die ich zur Navigation benötige, funktionieren oder laden nicht mehr. Mein Laptop geht kaputt. Keine Zeit für neue Videos, keine Zeit für neue Blogartikel. Keine Entspannung in Sicht. Kein Spaß. Kein Blauwassersegeln wie man es aus den ach so tollen amerikanischen oder australischen YouTube-Kanälen kennt. Bullshit. Das ist die Realität, das ist meine Realität.

Ich habe das Gefühl, jetzt schon ein Buch schreiben zu können - vielleicht sogar zu müssen - um alles erlebte einmal zu reflektieren und zu verarbeiten. Obwohl ich noch nicht einmal die Kanaren erreicht habe und in Portugal auf unbestimmte Zeit festhänge. Vielen Gedanken gehen mir diese Tage durch den Kopf. Was macht das alles für einen Sinn, wenn ich gar keinen Spaß habe? Wieso setze ich mich ständig selbst so unter Druck? Warum passiert das alles? Wieso haben andere mehr Glück mit ihrem Boot? Vielleicht sollte ich einfach aufgeben? Kann ich überhaupt noch? Ist mein Boot überhaupt das passende? Wann ist der Punkt erreicht, an dem man sagen sollte, dass es keinen Sinn hat? Wie geht es weiter? Geht es überhaupt weiter?

Eins steht fest: So kann es nicht weitergehen, so darf es nicht weitergehen. Ich bin leer. Ich brauche Urlaub. Es regnet seit Tagen, die ganze nächste Woche ist Regen angesagt. Es ist nebelig, aber trotzdem warm. Am Wochenende erwartet uns ein Schwell von 6 Metern. Gleich gehe ich schlafen. Auf einer feuchten Matratze, in klammer Bettwäsche. In der Hoffnung, dass der Luftentfeuchter bis morgen alles durchgetrocknet hat und die kommenden Tage ein paar Antworten aufzeigen und neue Energie schenken.