Wer hätte das gedacht? Vor einem Monat noch große Pläne geschmiedet und wieder mit dem Träumen angefangen. Voller Euphorie, dass es nun endlich weitergehen kann, schneller als gedacht wieder ausgebremst. Innerhalb weniger Tage zum Gesetzesbrecher geworden, der heimlich an Land geht, um sich mit Lebensmitteln einzudecken und um sich ein bisschen zu bewegen oder einfach nur zu duschen.

Willkommen im Film

Die letzten Törns entlang der portugiesischen Küste waren super: gutes Segelwetter, teilweise sogar etwas zu wenig Wind, angenehmer atlantischer Wellengang, gute Durchschnittsgeschwindigkeit, Spaß! Zur Abwechslung mal keine größeren Probleme mit dem Boot oder Material. So könnte es doch weitergehen, dachte ich mir. Doch dann kam Corona. Aber war es wirklich ein Virus, der unser aller Pläne, Träume, Hoffnungen und Zukunftsprognosen auf einen Schlag zunichte machte oder zumindest kräftig in Frage gestellt hat?

Über die rechtliche Situation, die Seglern hier in und vor Portugal im Rahmen des Ausnahmezustands auferlegt wurde, habe ich mich in meinem letzten Video schon ausgiebig beschwert. Hier nur noch einmal für den Zusammenhang im Klartext: Es herrscht aktuell ein striktes Verbot für Segler, die keinen Wohnsitz in Portugal nachweisen können, an Land zu gehen. Alle Häfen wurden geschlossen. Es gibt keine Ausnahmen, auch nicht für Lebensmittelversorgung, Arzt-/Apothekenbesuche etc. Diese Regelung ist zeitlich unbegrenzt. Zuwiderhandeln ist eine Straftat. Schöne neue Welt.

“Momentan ist das Leben der europäischen Zivilisation kurz vor dem Stillstand. Wer hätte das gedacht, dass das außerhalb der Kinowelt möglich sein würde?” ― Peter Paris ―

Wer jetzt glaubt, ich würde in Verschwörungstheorien abdriften, den muss ich leider enttäuschen. Ich werde mich weder als Virusexperte geben, noch meine Meinung zu wissenschaftlichen Erkenntnissen oder “den Medien” kundtun. Ich werde auch nur einen kleinen Teil des ganzen Kuchens anschneiden und zwar den, den ich aktuell selbst schlucken muss bzw. dessen Verdauung mir in diesen Zeiten als außerordentlich wichtig erscheint.

Was ich sehe ist, dass unsere sicher geglaubten demokratischen Grundrechte innerhalb weniger Tage und Wochen außer Kraft gesetzt werden (können) und dass sogar teilweise unmenschliche Gesetze erlassen werden. Ich sehe, dass jedes Land auf dieser Welt sich abkapselt, alle Grenzen schließt und seine eigenen Regeln im Umgang mit dem Virus aufstellt, als ob dieser menschlich gemachte Grenzen und Gesetze beachten würde. Allmacht oder Ohnmacht?

Was ich sehe ist, dass offensichtlich eine Angst, Panik oder mindestens großes Unbehagen - von wem oder was auch immer erzeugt - herrscht, was meines Erachtens nicht gesund ist. Nicht für den Einzelnen, nicht für die Gesellschaft. Überforderung - resultierend aus Unwissenheit und mangelnder Erfahrung - gepaart mit dem Zwang, in einer Notsituation schnell entscheiden zu müssen, kann ein großer Nährboden für Unheil sein. Dies hat die Vergangenheit im Allgemeinen gezeigt. Aber auch und gerade meine persönlichen Erfahrungen auf dieser Reise beim Einhandsegeln. Kurz gesagt: dies macht mir Angst.

Des Segelmachers neue Masken

Soweit, so schlecht. Soeben war ich auf der Internetseite eines Segelmachers, bei dem ich vor meiner Abreise ein Trysegel und ein gut erhaltenes Großsegel einer Bandholm 27 als Reserve erstanden hatte. Auf der Startseite werden Neuigkeiten verkündet: Ich lese und sehe, dass nun auch “doctor suits” und “Community Atem/Gesichtsmasken” genäht und verkauft werden. Alles klar.

Zum einen könnte der Segelmacher - wie so viele - durch die Maßnahmen der Regierungen und Behörden Umsatzeinbußen oder gar Existenzängste entwickelt haben und nach einer zusätzlichen Einnahmequelle suchen, um sich über Wasser zu halten. Er könnte als cleverer Geschäftsmann aber auch einfach zusätzliche Einnahmen wittern, denn mit Angst lässt sich bekanntlich gut Geld verdienen. Zu guter letzt könnte er sich aber auch einfach nur seinen Mitmenschen gegenüber verpflichtet fühlen und seine Fähigkeiten dazu einsetzen, anderen Menschen zu helfen.

Amos Groth beim Vorsegel setzen mit Freund Weitersegeln ist jetzt erstmal wieder nicht…

Ich erlaube mir kein Urteil. Der Segelmacher ist trotzdem oder gerade deshalb eine gute Vorlage, um eine Skizze unserer aktuellen Gesellschaft zu zeichnen. Überall ist das Thema präsent. Glotze ein: Corona. Laptop aufgeklappt: Corona. Handy angemacht: Corona. Zeitung aufgeschlagen: Corona. Es nervt. Ich habe gerade versucht, mal etwas Abstand zu dem ganzen Hype aufzubauen. Und jetzt schreibe ich auch selbst noch einen Blogbeitrag dazu. Wenn das mal keine Gehirnwäsche ist!

Zuschauer oder Akteur?

OK ein Aspekt noch, bitte! Danach kannst du dich zurücklehnen und Serien oder Science Fiction Filme über Weltuntergänge - also Nachrichten - schauen, Corona Parties feiern, deinen “Sundowner” Slash Schoko Muffin genießen oder Toilettenpapier kaufen gehen. Versprochen!

Die einen versuchen scheinbar momentan so gut es irgend geht, mit ihrer persönlichen Situation klar zu kommen und krampfhaft positiv zu bleiben. Sie nehmen die Maßnahmen ihrer Regierung(en) hin, wie sie sind und hoffen bzw. vertrauen darauf, dass die massiven Einschränkungen ihrer Grundrechte nur temporär sind und am Ende alles gut wird1. Schlichtweg: Abwarten und Tee trinken. Mit einem Schuss Rum dazu, schmeckt man die bittere Pille dann auch nicht mehr.

Das ist gewissermaßen OK, wenn man mal die Zeit der Verbote und Sperren nutzt, etwas sinnvolles zu tun oder zumindest zu sinnvollen und guten Erkenntnissen für sich selbst und andere zu kommen. Bin ich aktuell glücklich? Sind meine Beziehungen zu anderen gut und gesund? Mache ich gerade das, was ich kann und was mich erfüllt? Wie könnte eine bessere Gesellschaft nach Corona aussehen, was könnte ich dafür tun? Allgemein: einfach mal lernen, alleine mit sich und seinen Gedanken zu sein und Kraft sowie Kreativität daraus schöpfen. Ich hoffe nur, dass die Meditation und Passivität am Ende nicht abgestraft werden. Sprich, dass die derzeitig teilweise fraglichen politischen Maßnahmen sich nicht unbemerkt ins “Leben danach” einschleichen.

Kein Umstand ist dauerhaft!

Die anderen versuchen vielleicht proaktiv zu handeln, tatsächlich ihren Mund aufzumachen, zu kritisieren, unbequeme Fragen zu stellen, vielleicht sogar lauthals und offensichtlich zu protestieren - obwohl dies ja nicht mehr erlaubt ist. Vielleicht sogar bewusst Gesetze zu brechen, um auf Mißstände und Ungerechtigkeiten aufmerksam zu machen. Ich hoffe, dass dieser Kampf keiner gegen Windmühlen ist, dass er nicht über das Ziel hinausschießt, seine Daseinsberechtigung bekommt und tatsächlich auch positive Veränderung bewirkt.

Ich befinde mich gefühlt gerade irgendwo dazwischen. Meinen Protest habe ich öffentlich auf YouTube und in Radiointerviews2 kundgetan, habe erfolglos mit der ansässigen Polizei bzw. den Behörden verhandelt, mit der deutschen Botschaft gesprochen und mich mit anderen Seglern gestritten, die eher zur erstgenannten Fraktion gehören oder sich in Verschwörungstheorien verstricken. Ich habe versucht, die Lage für mich und andere Segler auf dieser Welt bzw. in Portugal zu verbessern. Ich bin selbst zum Kriminellen geworden, weil ich für meine menschlichen Grundbedürfnisse illegale Landgänge tätige. Ich habe Annika ein bisschen in ihrem politischen Engagement gegen Rassismus und für Flüchtlinge unterstützt.

Auf der anderen Seite bin ich ja nun seit Wochen physisch ziemlich zwangsisoliert und habe wenig “realen” Kontakt zur Außenwelt. Die Zeit nutze ich - nach meiner anfänglichen Wut- und Leidensphase - viel, um über mich selbst und die Welt nachzudenken, in mich zu gehen, auf mich zu hören, meiner inneren Stimme zu folgen, mich selbst zu hinterfragen, zu träumen, Pläne zu schmieden. Denn es wird eine Zeit danach kommen. Diese Zukunft ist gestaltbar, das lasse ich mir auch nicht nehmen.

Ich rate dir, mein Freund: wachsam bleiben, Augen öffnen, hinterfragen. Dissidieren, wenn es zu weit geht! Die Zukunft liegt in all unserer Hände und Demokratie klappt nur, wenn ein kritischer Austausch mit sich und seiner Umwelt praktiziert wird bzw. praktiziert werden kann! Ich wünsche dir in diesen Zeiten nur das Beste. Bis zum nächsten Mal.

  1. Dazu z. B. ein aktuelles Interview mit Edward Snowden 

  2. Oben das kurze, unten das ausführliche Interview beim Deutschlandfunk Nova